Vor 60 Jahren: Am 22.6.1941 überfällt Hitler die UdSSR und Stalin fährt auf seine Datscha (2024)

In der Nacht vom 21. auf den 22. Juni 1941 begann auf Befehl Hitlers der Angriff der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion. Aus Anlass des 60. Jahrestages dieses Ereignisses beschrieb der russische Historiker Roy Medwedjew in der Zeitung “Moskovskie Novosti”, was sich im Kreml abspielte, als die Nachricht vom deutschen Überfall dort ankam. Medwedjews These: Stalin hat zu spät und wenig durchdacht gehandelt. Obgleich er der faktische Oberbefehlshaber war, verbrachte er in den ersten Kriegstagen mehr Stunden auf seiner Datscha als im Kreml.

Eigentlich hatte die sowjetische Armee kurz vor dem Überfall erfahren, was an der Grenze zur Sowjetunion vor sich ging. Ein deutscher Feldwebel war am Abend des 21. Juni 1941 zu den Russen übergelaufen und hatte berichtet, dass ein deutscher Überfall in den frühen Morgenstunden des 22. Juni geplant sei. Der Leiter des Generalstabs der Roten Armee, Georgij Shukov, benachrichtigte sofort Stalin. Bei einem daraufhin angesetzten Treffen zwischen Stalin, Shukov, dem sowjetischen Außenminister Molotov und anderen zeigte sich Stalin zwar besorgt, aber nicht wirklich beunruhigt. Molotov wurde beauftragt, den deutschen Botschafter in Moskau, Graf von der Schulenburg, in den Kreml zu bitten und ihn zu fragen, was an der Grenze vor sich gehe. Er werde, so von der Schulenburg, in Berlin über die Beunruhigung des Kremls unterrichten. Stalin konferierte in der Nacht noch mit Berija, dem Volkskommissar des Inneren und mit Lev Mechlis, dem Leiter der politischen Führung der Roten Armee. “Nach dem Gespräch mit ihnen”, schreibt Medwedjew, “fuhr Stalin auf seine Datscha und legte sich schlafen.”

Um halb vier Uhr morgens am 22. Juni begann ein massives Artilleriefeuer und die Bombardierung von Städten in der Ukraine, in Weißrussland und im Baltikum. Stalin schlief unterdessen tief und fest; Shukov musste erst nachdrücklich darauf bestehen, dass er geweckt werde. In der darauf folgenden Sitzung – der deutsche Angriff war schon in vollem Gange – hielt Stalin es immer noch für möglich, dass es sich um eine Provokation handelte, von der Hitler womöglich gar nichts wusste. Zu sehr war Stalin davon überzeugt, dass Hitler sich keinen Zwei-Fronten-Krieg leisten würde. Erst als sich Graf von der Schulenburg bei Molotov melden ließ und die Kriegserklärung überbrachte, glaubte Stalin, was längst bekannt war. Dennoch gab er für die Armee die Direktive aus, die deutsche Grenze nicht zu verletzen. Nur die Luftwaffe wurde angewiesen, die Flughäfen des Feindes zu bombardieren. Mittlerweile kontrollierten die deutschen Bomber aber schon den sowjetischen Luftraum. General Kopec, der Stalins Befehl der Flughafenbombardierung ausführen sollte, sah keine Handlungsmöglichkeit mehr und erschoss sich.

Nach der Sitzung in den Morgenstunden des 22. Juni fuhr Stalin wieder auf seine Datscha. Dort blieb er bis zum 23. Juni morgens um drei. Erst dann kehrte er in den Kreml zurück, sah die eingetroffenen Papiere durch, zu denen dringend Entscheidungen zu treffen waren und besprach sich mit seinen Ministern und Generälen. Unterdessen rückte die deutsche Armee immer weiter vor. Nach einigen Besprechungen fuhr Stalin wieder auf seine Datscha. So ging es tagelang. Immer wieder fuhr er für einige Stunden auf die Datscha, und wenn es ihm einfiel, fuhr er wieder in den Kreml, beraumte eine Politbüro-Sitzung ein, und mischte sich hier und dort in Entscheidungsprozesse seiner Militärs ein, fuhr wieder auf die Datscha, kam wieder zurück. “Mehrmals am Tag”, zitiert Medwedjew Shukov, “rief er mich und den Volkskommissar [für Verteidigung] Timoschenko in den Kreml, regte sich schrecklich auf, schimpfte und brachte nur die ohnehin ungenügend organisierte Arbeit des Haupt-Kommandos durcheinander.” Erst am 3. Juli 1941 wandte sich Stalin über das Radio an die Bevölkerung und rief zum Vaterländischen Krieg auf.

Dass Stalin nicht der geniale Feldherr war, für den er sich selbst hielt, zeigte schon Chruschtschow in seiner berühmten Rede zum 20. Parteitag. Doch wie Stalin auf den deutschen Überfall reagiert hatte, darüber herrschte bisher unter den näher stehenden Zeitzeugen die Meinung, dass Stalin nach dem deutschen Angriff in Depressionen verfiel und sich von der Regierung des Landes zurückzog. Chruschtschov berichtete dies in seiner Rede zum 20. Parteitag, wobei er sich auf die Aussagen von Berija und Molotov stützte. Der Schriftsteller Konstantin Simonov, ein in Russland sehr bekannter Autor von Kriegsromanen, verbreitete ebenfalls diese Ansicht. Medwedjew stützte sich hingegen eher auf die Erinnerungen von Georgij Shukov (1896-1974), der später Marschall der Sowjetunion und in der Chruschtschow-Ära Verteidigungsminister war. Medwedjew kommt daher zu dem Schluss, dass Stalin sich in den unpassendsten Momenten zurückzog, sich dann aber wieder auf unberechenbare Weise in die Pläne der Volkskommissare und Militärs einmischte. Diesen blieb kaum etwas anderes übrig als sich das gefallen zu lassen, denn obwohl er nur Mitglied im nach dem deutschen Angriff gebildeten Obersten Hauptkommando war – offizieller Leiter war Timoschenko -, konnte keine Entscheidung ohne Stalins Einverständnis getroffen werden.

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Doris Marszk

Vor 60 Jahren: Am 22.6.1941 überfällt Hitler die UdSSR und Stalin fährt auf seine     Datscha (2024)

FAQs

Was ist am 22.06 1941 passiert? ›

Am 22. Juni 1941 eröffnete das Deutsche Reich auf breiter Front zwischen der Ostsee und den Karpaten den Krieg gegen die offensichtlich überraschte Sowjetunion.

Wie viele deutsche Soldaten fielen in Russland? ›

Im Kessel von Stalingrad starben 226.000 deutsche Soldaten und weitere 300.000 Verbündete wurden um Stalingrad herum getötet. Rund 91.000 deutsche Soldaten gerieten in Kriegsgefangenschaft.

Was hat Stalin im 2 Weltkrieg gemacht? ›

Im Zweiten Weltkrieg konnte er im Bündnis und mithilfe der westlichen Gegner Deutschlands, vor allem den USA und Großbritannien, im Rahmen der Anti-Hitler-Koalition den deutschen Angriff auf die Sowjetunion unter großen Verlusten abwehren.

Warum trat die Sowjetunion in den Zweiten Weltkrieg ein? ›

Die Sowjetunion wahrte während des Zweiten Weltkriegs offiziell ihre Neutralität, kooperierte jedoch mit Deutschland und unterstützte es . Nach dem Angriff Nazideutschlands auf die UdSSR am 22. Juni 1941 verbündete sich das Land mit Großbritannien und später mit den USA, nachdem diese im Dezember 1941 in den Krieg eingetreten waren.

Wer war verantwortlich für den 2 Weltkrieg? ›

Die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, die USA, Großbritannien, die Sowjetunion und Frankreich klagten die NS-Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militär Tribunal (IMT) in Nürnberg an.

Wann war der deutsche Angriff auf die Sowjetunion? ›

Was geschah, als Stalin starb? ›

Nach Stalins Tod im März 1953 folgten ihm Nikita Chruschtschow als Erster Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) und Georgi Malenkow als Ministerpräsident der Sowjetunion nach.

War Stalin Deutscher? ›

Dezemberjul. / 18. Dezember 1878greg. in Gori, Gouvernement Tiflis, Russisches Kaiserreich, heute Georgien; † 5. März 1953 in Kunzewo bei Moskau, Sowjetunion, heute Russische Föderation) war ein sowjetischer kommunistischer Politiker georgischer Herkunft und Diktator der Sowjetunion von 1927 bis 1953.

War Stalin ein guter Kriegsführer? ›

Stalin wurde aus vier Hauptgründen als guter Führer in Kriegszeiten gesehen : ❖ Er stellte die Wirtschaft in den Dienst der Kriegsanstrengungen – über 50 % des Nationaleinkommens wurden für die Kriegsführung ausgegeben. ❖ Er richtete das STAWKA, das sowjetische Oberkommando, zur Führung der Kriegsanstrengungen ein und hörte auf erfahrene Militärberater.

Warum hassen die USA die Sowjetunion? ›

Die US-Regierung stand den sowjetischen Führern zunächst feindlich gegenüber, weil sie Russland aus dem Ersten Weltkrieg herausgeführt hatten, und lehnte einen Staat ab, der ideologisch auf dem Kommunismus basierte.

Warum starben im Zweiten Weltkrieg so viele Sowjets? ›

Zwischen Juni 1941 und Februar 1942 wurden etwa 2,8 Millionen sowjetische Kriegsgefangene von der deutschen Armee und anderen Spezialeinheiten getötet, hauptsächlich durch vorsätzliches Aushungern und Aussetzen den Elementen . Es war einer der schockierendsten Akte menschlicher Gräueltat in der Geschichte.

Haben Russland und Amerika im Zweiten Weltkrieg gemeinsam gekämpft? ›

Im Zweiten Weltkrieg bildeten die drei alliierten Großmächte – Großbritannien, die USA und die Sowjetunion – eine Große Allianz, die der Schlüssel zum Sieg war . Die Bündnispartner verfolgten jedoch keine gemeinsamen politischen Ziele und waren sich auch nicht immer einig, wie der Krieg geführt werden sollte.

Was war 1941 in Amerika? ›

Dezember 1941, trifft eine japanische Kriegsflotte im amerikanischen Marinestützpunkt Pearl Harbor auf Hawaii ein. Mit Bomben und Torpedos greifen die Japaner die Amerikaner an. Mehr als 3.500 Amerikaner sterben oder werden verletzt.

Warum kam es zur Schlacht um Moskau? ›

Schlacht um Moskau, Schlacht zwischen Nazideutschland und der Sowjetunion vom 30. September 1941 bis zum 7. Januar 1942 während des Zweiten Weltkriegs. Sie war der Höhepunkt von Nazideutschlands Unternehmen Barbarossa und beendete die Absicht der Deutschen, Moskau einzunehmen, was dem Dritten Reich letztlich zum Verhängnis wurde .

Was ist 1941 in der Welt passiert? ›

Am 7. Dezember 1941 überfielen japanische Trägerflugzeuge die US-Pazifikflotte in Pearl Harbor auf Hawaii. Amerika erklärte Japan den Krieg, der damit endgültig zum Weltkrieg wurde. Der Angriff auf Pearl Harbor löste unmittelbar die formelle Kriegserklärung der USA an Japan aus.

Was geschah, als Deutschland in die Sowjetunion einmarschierte? ›

Die deutschen Armeen nahmen schließlich etwa fünf Millionen sowjetische Soldaten der Roten Armee gefangen und ließen im Rahmen des „Hungerplans“, der die deutsche Nahrungsmittelknappheit beseitigen und die slawische Bevölkerung durch Hunger ausrotten sollte, 3,3 Millionen sowjetische Kriegsgefangene und Millionen Zivilisten vorsätzlich verhungern oder auf andere Weise töten.

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